Drei Fragen an Gabriele Werth zu »Der Westcoast-Mythos« von Ingeborg Schober
1973, also vor fast 50 Jahren, schrieb Ingeborg Schober (1947–2010) in einem fünfteiligen Special für das Magazin »Sounds« über die Musik der Hippiebewegung und die damit verbundenen gesellschaftlichen Umbrüche. Und wieder einmal war Schober damit Vorreiterin. So ausführlich und leidenschaftlich hatte hierzulande bisher noch niemand über die bis heute nachwirkende Pop-Kultur aus Kalifornien geschrieben.
Wir unterhielten uns mit der Herausgeberin Gabriele Werth, der es zu verdanken ist, dass dieses musikjournalistische Pionierstück wieder erhältlich ist.
Ingeborg Schober schrieb ihren »Westcoast-Mythos« 1973. Wie unterscheidet sich ihre damalige Sicht von unserem heutigen auf den »Summer of Love«?
Es ist natürlich ein Unterschied, ob popkulturelle Phänomene mit einem Abstand von ein paar Jahren oder einigen Jahrzehnten betrachtet werden. Ingeborg Schober war Teil der musikalischen Szene über die sie schrieb. Trotzdem hatte sie schon nach wenigen Jahren eine gewisse Distanz zu den Ereignissen, berichtet engagiert mit ganzer Leidenschaft, aber auch faktenreich und detailliert. Heute wissen wir, wie sich alles nach 1973 verändert hat, können musikalische und gesellschaftliche Entwicklungen ganz anders einordnen und darüber schreiben. Die Fakten – damals schwer zu recherchieren – bleiben aber dieselben, auch wenn es mitunter Fehler und Irrtümer in Details der Artikelserie gab.
Und was hat es mit dem Untertitel »Eine leicht verklärte Erinnerung« auf sich?
Die Hoffnungen und Sehnsüchte, die mit dem gesellschaftlichen Aufbruch der späten 60er Jahre verknüpft waren, wurden schnell enttäuscht, der Hippie-Traum verflüchtigte sich. Das bekam Ingeborg Schober schon nach ein paar Jahren zu spüren: Kommerzialisierung und die Vereinnahmung durch Business-Manager und Plattenfirmen führten zu Enttäuschungen, die Ingeborg in ihrem Rückblick schon sehr klarsichtig analysiert. Trotzdem: es wurden Impulse gesetzt, die auch heute noch nachwirken, ein Teil davon lebte weiter. Das lässt sich bei einem Besuch in der West-Coast-Area immer noch gut nachvollziehen. Und sogar noch heute gibt es in den Köpfen und Herzen von heute noch eine Ahnung von dem was möglich gewesen wäre.
Du hast den Text »behutsam bearbeitet«. Was war dir dabei wichtig, was sollte unbedingt nach 1973 klingen, wo hast du eingegriffen?
Wir haben Namen und Orte korrigiert und auch Begebenheiten wie z. B. die geschilderten Ereignisse in Altamont und die Entstehung der Yippie-Bewegung einem Faktencheck unterzogen. Es gab einiges, das man heute besser weiß, weil es umfangreichere Möglichkeiten der Recherche gibt, als Ingeborg sie damals hatte. Inzwischen sind so viele Bücher über diese Zeit geschrieben worden. Kernstück sind aber – wie immer in ihren Texten – die eigenen Erlebnisse mit Menschen und Musiker*innen. Sie sind authentische Begegnungen und Gespräche aus erster Hand, und genau das macht auch den Charme dieser Artikel-Serie von 1973 aus.
Pressereaktionen (wird fortgesetzt):
»Diese Texte wurden eigentlich für eine Saison geschrieben, sind aber fünf Dekaden nach ihrer Genese noch mit Vergnügen und Erkenntnisgewinn zu lesen.« Jörg Feyer, Rolling Stone
Deutschlandfunk Kultur, Tonart von Sonja Eismann
Foto von Gabriele Werth: Marek&Beier; Faksimile aus »Sounds«